Gefördert und unterstützt durch:

Das Projekt

Biodiversität und Naturkapital tragen wesentlich zum menschlichen Wohlergehen bei (CBD 1992, IPBES 2019). Aus dieser Einsicht hat Deutschland sich international verpflichtet, diese Werte in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse und volkswirtschaftliche Berichtssysteme zu integrieren (CBD, Aichi Target 2). Allerdings berücksichtigen gesellschaftliche und private Entscheidungsprozesse den Wert von Biodiversität und Naturkapital bislang allenfalls zum Teil. Ein wichtiger Grund dafür sind die großen Informationslücken und Unsicherheiten.

In ValuGaps definieren wir Naturkapitalien als Bestände, die (Ökosystem-)Leistungen für Menschen erbringen. Biodiversität prägt die Dynamik des Naturkapitals über Biodiversitäts-Ökosystem-Funktionen und ist zudem selbst ein wertvoller Naturkapitalbestand (Mace et al. 2012). Konzeptionell ist der Wert eines Naturkapitalbestandes die Summe der erwarteten Werte aller seiner zukünftigen Leistungen (Daily et al. 2000). Dabei wird über Werte für alle Menschen summiert, die aus diesen Leistungen Nutzen ziehen oder Kosten erleiden, wobei die einzelnen Werte entsprechend ihrem zeitlichen Auftreten und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit gewichtet werden (Quaas et al. 2019). Um den Wert des Naturkapitals angemessen zu berücksichtigen, müssen die Entscheidungsträger:innen antizipieren, wie sich der zukünftige Strom von Ökosystemleistungen aus Naturkapital in Abhängigkeit von der getroffenen Entscheidung und den ökologisch-wirtschaftlichen dynamischen Rückkopplungen entwickeln kann und wie sich diese Entwicklung auf private und öffentliche Naturkapitalwerte verschiedener Art auswirkt, einschließlich ökonomischer, gesundheitlicher und relationaler Werte. Trotz erheblicher Anstrengungen und Erfolge von Großprojekten zur Bewertung von Ökosystemleistungen und Naturkapital in Deutschland und weltweit (z.B. TEEB, TEEB.de, UK NEA, IPBES regionale und globales Assessments) besteht dringender Bedarf an Bewertungsansätzen, die in Politik, Wissenschaft und der Öffentlichkeit breit akzeptiert werden und praxistauglich sind.

Hintergrund

Für Deutschland erarbeitet das Bundesamt für Naturschutz (BfN) Karten, die den Zustand und die Entwicklung von Ökosystemleistungen flächendeckend darstellen (Europäische Biodiversitätsstrategie, Ziel 2 Maßnahme 5). Gleichzeitig entwickelt das BfN Methoden, um die Leistungen der Ökosysteme mit physischen und ökonomischen Messzahlen, nach dem im System of Environmental Economic Accounting (SEEA) im März 2021 verabschiedeten Standard, in die umweltökonomische Gesamtrechnung zu integrieren. Das Umweltbundesamt (UBA) erstellt die Methodenkonvention zur Ermittlung von Umweltkosten, die insbesondere für Wirtschaftlichkeitsrechnungen öffentlicher Investitionen maßgeblich ist und dazu Standardkostensätze angibt. Die Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Konsistenz der jeweils zu verwendenden Daten und Methoden ist hoch, um amtliche und ressortübergreifende Akzeptanz zu finden. Insbesondere sollen die Daten und Methoden ein breites Spektrum an Ökosystemleistungen abbilden, in dem sich die verschiedenen individuellen und gesellschaftlichen Interessen (sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Art) widerspiegeln kön-nen. Naturkapitalbestände sind in der Regel Gemeinschaftsgüter oder öffentliche Güter. Daher spielen Gerechtigkeitsüberlegungen bei ihrer Inwertsetzung und Bereitstellung eine wichtige Rolle. Methoden der Bewertung von Biodiversität und Naturkapital müssen deshalb so weiterentwickelt und eingesetzt werden, dass sie den Zielen der Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit nicht entgegenstehen. ValuGaps wird in Zusammenarbeit von Universitäten, BfN und UBA eine Brücke schlagen zwischen Grundlagenforschung und breiter Anwendbarkeit praktikabler und zuverlässiger Methoden, mit denen Naturkapitalwerte dargestellt und in Entscheidungen berücksichtigt werden können.

Da Primärerhebungen zeitaufwändig und kostspielig sind, erfordert eine systematische Inwertsetzung von Biodiversität vor allem Methoden zur Skalierung, Übertragung und Überbrückung verschie-dener Werttypen von Primärstudien über Zeit und Raum, Gruppen von Begünstigten sowie Arten von Ökosystemen, um Naturkapitalwerte für das jeweils vorliegende Politik- oder Entscheidungsproblem zu bestimmen. Diese weitverbreitete Praxis des Nutzentransfers ist zum "Fundament der praktischen Politikanalyse" geworden (OECD 2018, S. 157), auch wenn die gängigen Ansätze meist konzeptionell schwach sind und Heterogenitäten zwischen dem Erhebungs- und dem Anwendungskontext unzureichend berücksichtigen (Phaneuf, Requate 2017).

Arbeitspakete

  • AP A: Weiterentwicklung des Konzepts

    Arbeitspaket A wird die Konzepte der ökonomischen Bewertung von Biodiversität und Naturkapital im Hinblick auf die flächendeckende Anwendung aufarbeiten und weiterentwickeln. Dazu wird Arbeitspaket A herausarbeiten, wie der ökonomische Werte von Naturkapital abhängt von: (i) Grad der Substituierbarkeit bzw. Komplementarität zwischen Naturkapital und produziertem Kapital; (ii) Unsicherheit über zukünftige ökologische und ökonomische Entwicklungen und Irreversibilitäten; (iii) Heterogenität der Präferenzen der Mitglieder der Gesellschaft, insbesondere Zeit- und Risikopräferenzen; (iv) Normen intra- und intergenerationaler Verteilungsgerechtigkeit und sich dabei methodisch vorwiegend auf die theoretische Analyse konzeptionell fokussierter, generischer Modelle stützen.

  • AP B: Verhaltensexperimente und -erhebungen

    Aarbeitspaket B wird Labor- und Feldexperimente und Befragungen einsetzen, um Präferenzen und Erwartungen von Interessengruppen zu ermitteln, die für ein besseres Verständnis von Naturkapitalwerten (→ AP A) und deren Skalierung und Übertragung auf andere Bewertungskontexte (→ AP S) von grundlegender Bedeutung sind.

  • AP Q: Quantifizierung des Werts von Naturkapitalien in Deutschland

    Arbeitspaket Q wird die Ansätze und Methoden erproben und exemplarische Werte ausgewählter Naturkapitalien für Deutschland flächendeckend quantifizieren, nämlich Stadtgrün, Landschaftselemente und landwirtschaftlich genutzte Flächen mit hohem Naturwert für die Erholung und Leistungen der Ökosysteme für die Erhaltung der biologischen Vielfalt.

  • AP M: Modellierung von Ökosystemdynamik, -bewirtschaftung und -nutzen

    Arbeitspaket M wird verschiedene Modellierungsansätze vergleichen und kombinieren, um biophysikalische Ökosystemprozesse und -funktionen mit der Bereitstellung von Ökosystemleistungen unter verschiedenen Bewirtschaftungsarten zu verbinden. Dies reicht von statistischen Bewertungen von Habitateigenschaften und daraus resultierenden Ökosystemleistungen bis hin zu hochkomplexen prozessbasierten Modellen. Anschließend werden wir ökonomische Entscheidungsmodelle integrieren, um Feedbackschleifen für zukünftige Managementmaßnahmen abbilden zu können. Arbeitspaket M wird auch analysieren, wie sich Unsicherheiten in den zugrundeliegenden biophysikalischen Eigenschaften, Klimabedingungen, Ökosystemprozessen, sozioökonomischen Bedingungen und Art und Weise der Bewirtschaftung auf Werte von Biodiversität und Naturkapital auswirken.

  • AP N: Nicht-ökonomische Werte von Naturkapital und Biodiversität

    Arbeitspaket N wird Naturkapital hinsichtlich der Bedeutung für Gesundheit (Marselle et al. 2019, 2020, 2021), Lebenszufriedenheit (Methorst et al. 2021a) sowie dessen relationale Werte (Chan et al. 2016) untersuchen und dazu qualitative und quantitative sozialwissenschaftliche Methoden verwenden. Arbeitspaket N trägt maßgeblich dazu bei, die Lebenszufriedenheits-, gesundheitsbezogene und relationale Bewertung von Naturkapital weiter zu entwickeln und nutzt vorhandene, hochwertige Daten, um diese Methoden zur nicht-ökonomischen, flächendeckenden Bewertung in der internationalen Diskussion zu etablieren.

  • AP S: Skalierung, Übertragung und Überbrückung von Werten

    Arbeitspaket S untersucht, wie ökonomische Naturkapitalwerte angesichts von Heterogenität in Zeit und Raum, Unsicherheiten, Nutzergruppen und Ökosystemen skaliert, übertragen und überbrückt werden können. Wir entwickeln Methoden des strukturellen Nutzentransfers in Form von direkt anwendbaren Formeln zur Übertragung und Überbrückung von Werten, um Naturkapitalwerte angesichts von unterschiedlichen Dynamiken und Unsicherheiten von Studien- und Politikort skalieren und übertragen zu können. Zusätzlich werden wir ermitteln, wie sich Übertragungsfehler verschiedener Nutzentransferansätze und -spezifikationen minimieren lassen.

    Arbeitspaket S wird dabei mit ökologisch-ökonomischer Modellierung (→ AP A, AP M) Formeln für die Übertragung von Werten herleiten („struktureller Nutzentransfer“), die verschiedenen Momente der Einkommensverteilung, Substitutionsmöglichkeiten zwischen Ökosystemleistung und privaten Gütern, Menge und Verteilung der Ökosystemleistung sowie Unsicherheiten und Irreversibilitäten Rechnung tragen. Zur empirischen Validierung der Transferformeln und Abschätzung der Transferfehler verwenden wir neue, gezielt gestaltete Mehr-Standort-Bewertungsstudien zu Stadtgrün und Grünland.

  • AP D: Entscheidungsunterstützung

    Arbeitspaket D führt Wissenschaft und Praxis zusammen, um Unterstützung für öffentliche Entscheidungen (u.a. Kosten-Nutzen-Analysen; Wirtschaftlichkeitsrechnungen öffentlicher Investitionen) und für die Bilanzierung in Unternehmen zu entwickeln. Die praktische Verwendung von Naturkapitalwerten hängt maßgeblich davon ab, dass wissenschaftlich belastbare Naturkapitalwerte den Anwender:innen zur Verfügung gestellt werden, von diesen richtig interpretiert und für ihre Zwecke angepasst werden können. Dazu wird Arbeitspaket D die ValuGaps-Produkte im Kreis der potenziellen Anwender:innen diskutieren, co-produzieren und durch transdisziplinäre Zusammenarbeit mit Referenzstakeholdern sicherstellen, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse von den Anwender:innen verwendet werden können. Aus dem transdisziplinären Austausch mit Anwender:innen erwarten wir Erkenntnisse für die internationale Forschung zur Bewertung von Naturkapital, die Synergien schafft zwischen akademischer Grundlagenforschung einerseits sowie Praxiswissen und Umsetzung andererseits. Arbeitspaket D umfasst (i) die Integration wichtiger Ergebnisse in die UBA-Methodenkonvention zur Ermittlung von Umweltkosten, (ii) die Entwicklung eines Leitfadens zur Bewertung von Naturkapital mit Sekundärdaten (‚Nutzentransfer‘)und (iii) die Erstellung und Implementierung einer Online-Datenbank für Umweltwerte und Schlüsselparameter. Wie von Stakeholdern angeregt, münden die Informationen auch einen online verfügbaren Naturkapitalrechner. Arbeitspaket D wird "Beta-Versionen" des Leitfadens (ii) sowie der Online-Datenbank (iii) mit der Referenzstakeholdergruppe testen, die wir in Phase 1 etabliert haben. Wir werden Anwender:innen zu thematischen Workshops am UBA einladen, um (a) sicherzustellen, dass die entwickelten Methoden den Praxisanforderungen genügen ("Testingworkshops") und um (b) Anwender:innen in der Naturkapitalbewertung zu schulen ("Trainingsworkshops"). Eine Herausforderung hierbei wird es sein, den unterschiedlichen Anforderungen der heterogenen Anwendungsgebiete gerecht zu werden. Diese umfassen auf der einen Seite Fachleute der Naturkapitalbilanzierung, die die ValuGaps-Datenbank als Werkzeug für eigene Studien nutzen und auf der anderen Seite Anwender:innen, die im Rahmen von Vergabeverfahren die Kosten und Nutzen der durch die Vergabealternativen verursachten Folgen für das Naturkapital einpreisen sollen.

Mission

ValuGaps reagiert auf den Bedarf, wissenschaftlich und normativ fundierte Methoden für die Skalierung, Übertragung und Überbrückung von Werten bereitzustellen, die sich gleichzeitig für pragmatisch-angewandte Bewertung eignen und hinreichend einfach zu implementieren sind. ValuGaps kombiniert dazu konzeptionelle Forschung, integrierte ökologisch-ökonomische Modellierung sowie Verhaltensexperimente und Befragungen, um Schlüsselparameter (Aspekte individueller Präferenzen, sozialer und relationaler Werte, Ökosystemeigenschaften) zu identifizieren, die für die Bewertung von Naturkapital und die Skalierung, Übertragung und Überbrückung verschiedener Arten von Werten erforderlich sind. So wird ValuGaps dazu beitragen, Werte von Biodiversität und Naturkapital in Deutschland sichtbar zu machen und umfassender in Entscheidungsprozesse und Berichtssysteme integrieren zu können.

Wie auch die beteiligten Bundesbehörden (BfN und UBA), zielt ValuGaps einerseits auf eine Bewertung in ökonomischen Geld- bzw. Einkommenseinheiten und andererseits auf die Darstellung der Werte in technisch-ökologischen (u.a. Biomasse, Artenzusammensetzung) und psychosozialen Größen (u.a. vermindertes Krankheitsrisiko, erhöhte Lebenszufriedenheit). Wir möchten Bürger:innen, Politiker:innen und Fachleute mit einem breiten Spektrum an Denkweisen und Einstellungen ansprechen. Deshalb werden wir ökonomische und nicht-ökonomische Wertskalen in einem konsistenten Gesamtrahmen kommunizieren, der Widersprüche vermeidet und scheinbare Widersprüche nachvollziehbar auflöst. ValuGaps wird Daten zum Wert von Naturkapital erheben, die dem internationalen Forschungsstand entsprechen, um politische und planerische Entscheidungsprozesse so gut wie möglich zu informieren.